Achtung BABY! by Michael Mittermeier

Achtung BABY! by Michael Mittermeier

Autor:Michael Mittermeier
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch
veröffentlicht: 2010-03-29T04:00:00+00:00


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Wickel-Man

Nach fast 18 Jahren Beziehung wachten wir am zweiten Januar zum ersten Mal zu dritt auf. Wir fingen gerade erst an, die neue Situation zu verstehen. Unsere Dialoge hätten aus einem Tarzanfilm stammen können:

»Wir Eltern, ich Papa.«

»Du Papa, ich Mama.«

»Es war also kein langer Traum, es ist wahr.«

»Wir sind endlich eine ganze Familie.«

Wir hätten noch tagelang emotional weiterschwelgen können, aber da:

»Du, Gudrun, die Kleine ist doch total gelb.«

»Stimmt.«

»Die hat Gelbsucht.«

»Die Hebamme hat ja auch gesagt, dass das bei Neugeborenen oft vorkommt.«

»Und Lilly hat so was Gelbes in den Augen.«

»Eine Chinesin?«

»Wir rufen Annette an!«

Eine halbe Stunde später war unsere Nachsorgehebamme da, und sie blickte Lilly an: »Die ist doch gar nicht gelb.«

»Doch, schau mal.«

»Wo denn?«

»Überall.«

»Hmm.«

»Besonders die Augen.«

In dem Moment färbten sich Annettes Augen gelb, und ich erschrak: »Das ist ansteckend.«

»Nein, ich hab Pippi in den Augen, weil ihr so süß aufgeregt seid.«

»Aber die Kleine?«

»Die hat gar nichts. Aber vielleicht solltet ihr mal den Vorhang waschen, der wirkt etwas gelblich.«

Wir entdeckten beim Baby alle paar Minuten etwas Neues. Man braucht eigentlich eine Hebammen-Flatrate. Man will zwar nicht wegen jedem Scheiß anrufen, hat aber immer Angst, dass man etwas falsch macht. Annette war toll, die hat uns immer zwischen Irrsinn, Paranoia und Glücksdroge aufgefangen und geduldig alles erklärt, gezeigt und auch nur ab und zu gesagt: »Das solltet ihr besser euren Friseur fragen.«

Doch plötzlich tauchte wirklich ein sehr seltsames Phänomen auf. Neugeborene Babys geben in den ersten Tagen Geräusche von sich, die sind irgendwie nicht von dieser Welt. Das ist so ein Glucksen und Schlatzen und Schmatzen. Es klingt etwas außerirdisch. So als ob ein ausgehungerter Dämon ohne Besteck das Gehirn seiner menschlichen Opfer verspeist: »Schlbbbchchffchchschbbbzzzz …«

Hannibal Lecter hat im »Schweigen der Lämmer« ähnlich geklungen. Aber es gibt für dieses akustische Akte-X-Phänomen eine natürliche Erklärung: Im Babykörper befinden sich kurz nach der Geburt noch ein ganzer Haufen Östrogene (ist Haufen die richtige Maßeinheit?), da liegen die Schleimhäute gesättigt aufeinander, sodass die dann wunderliche Töne erzeugen. Habe ich nachgelesen. Auf so was musst du auch erst mal kommen. Und irgendwann stellt sich einer an das Mikrofon und verkündet: »Der Oscar für Geräusche, Ton, Spezialeffekte geht an: Baby!«

Es ist wohl müßig zu erwähnen, dass wir Eltern diese schrägen Geräusche allesamt supersüß und niedlich finden: »Mei, wie putzig das klingt.«

Es waren Dutzende verschiedene Tonansammlungen, die wir entdecken konnten. Und bei jedem Gluckser kommentierten Gudrun und ich wie Stettler und Waldorf in der Muppetshow:

»Das klingt ja wie eine Auster mit Schweinegrippe.«

»Hört sich eher an wie ein Schwein, das eine kranke Auster gefressen hat, höhöhöhö!«

Da fragt sich doch der ein oder andere kritische Leser angesichts der »kleinen süßen Geräusche«, das soll alles sein? Stimmt, Babys machen auch Geräusche, die die Grenzen der ursprünglichen Bedeutung des Wortes sprengen. Außerirdisch und mit normalen Dezibelmessgeräten oft nicht mehr darstellbar. Das hört sich dann eher so an, als ob man einem hungrigen Dämon seine Menschenhirnwurstsemmel weggenommen hätte. Aber dazu kommen wir später noch.

Ab dem zweiten Tag war ich ein Profi im Wickeln. Ich konnte ja auch schon auf eine lange Karriere als Baby-Chefentwickler zurückblicken.



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